Reich Gottes, Reich der Himmel, Reich des Vaters

Was ist das Reich Gottes, das Paulus predigt (Apg 19,8)? Was das Reich der Himmel, von dem wir im Evangelium nach Matthäus, besonders im 13. Kapitel, so oft hören? Und was bedeutet das „Reich meines Vaters“ in Matthäus 26,29?

Bibelstelle(n): Apostelgeschichte 19,8; Matthäus 13; Matthäus 26,29

Einordnung der Begriffe

Das Reich (eig. Königreich) Gottes ist gewissermaßen ein Gattungs- oder Sammelname, der alle jene anderen Namen oder Bezeichnungen umfasst, in sich einschließt, aber sehr oft von allgemeinerer, weitergehender Bedeutung ist als diese. Das Reich der Himmel, dass Reich des Sohnes des Menschen, das Reich des Vaters oder meines (ihres, unseres) Vaters sind Begriffe, die sich mit dem Ausdruck „Reich Gottes“ nicht immer decken, weil sie dieses Reich von einem bestimmten Gesichtspunkt aus, in einer gewissen Sonderbedeutung betrachten.

Man könnte sie vielleicht Unterabteilungen nennen, wenn man nicht fürchten müsste, dadurch unrichtige Gedanken zu erwecken – ähnlich wie Rosen, Lilien, Veilchen usw. Unterabteilungen, Gruppen der großen Gattung „Blumen“ sind. Alle die genannten sind Blumen, aber man kann nicht sagen: alle Blumen sind Rosen oder Lilien usw.

So kann man auch von dem Reich in all seinen verschiedenen Bezeichnungen immer sagen: es ist das Reich Gottes, aber man kann den Satz nicht umdrehen. Z.B. wäre es nicht richtig zu sagen: das Reich Gottes ist das Reich des Sohnes der Menschen, weil jener Ausdruck weit mehr in sich schließt als dieser. Das Reich des Sohnes des Menschen ist nur der irdische Teil des Reiches Gottes, gegenüber dem Reich des Vaters, dem himmlischen Teil desselben Reiches, und kommt erst zur Geltung in der Zeit der tausendjährigen Segnung dieser Erde. Heute sieht das Glaubensauge den Sohn des Menschen wohl zur Rechten der Majestät droben, aber Jesus hat Sein Erbe noch nicht angetreten. Er sitzt noch wartend auf dem Thron des Vaters, nicht aber auf Seinem Thron.

Der allgemeine Begriff: Reich der Himmel

Das Reich Gottes ist der Bereich, in welchem die ordnende und regierende Macht Gottes in göttlicher Weisheit zur Darstellung oder Ausübung kommt. Es kann deshalb von zweierlei Gesichtspunkten aus betrachtet werden, zunächst in seinem geistlichen oder sittlichen Charakter, dann in seiner äußeren, den Sinnen wahrnehmbaren Gestaltung. Im ersten Fall kann es von dem natürlichen Menschen nicht gesehen werden. Um in das Reich Gottes in diesem Sinn einzugehen, ja, es nur zu sehen, bedarf der Mensch einer Natur, die diesem Reich entspricht, mit einem Wort, er muss von neuem geboren werden (Joh 3). So betrachtet, war das Reich notwendigerweise da, als der Sohn Gottes wirkend auftrat. Das Austreiben der Dämonen bewies z.B., dass das Reich Gottes zu Israel gekommen war. Denn wenn der Sohn Gottes durch den Finger Gottes, in der Kraft des Heiligen Geistes, die bösen Geister austrieb, so war damit die Gegenwart Gottes und Seines Reiches erwiesen.

Beachten wir, dass das Reich hier nicht das Reich der Himmel genannt wird. Dieser Ausdruck, der überhaupt nur bei Matthäus vorkommt, (dort aber fast immer, mit nur drei oder vier Ausnahmen) würde an dieser Stelle nicht passen, denn das Reich der Himmel wurde damals als „nahe gekommen“ gepredigt, während das Reich Gottes schon da war. Es war „mitten unter ihnen“ (Mt 12,28; Lk 11,20; 17,21).

In diesem geistlichen oder sittlichen Charakter müssen wir uns auch das Reich Gottes vorstellen, wenn wir von ihm lesen: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17), oder wenn Paulus an die Korinther schreibt: „Das Reich Gottes besteht nicht im Wort, sondern in Kraft“ (1. Kor 4,20). In gleichem Sinn müssen wir zunächst an das Reich denken, wenn der Herr Seine Zuhörer auffordert: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“, oder wenn von Paulus erzählt wird: „Er sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte“ (Apg 19,8; vgl. Apg 20,25; 28,31).

Die genaueren Unterscheidungen

Wollen wir jetzt noch kurz die verschiedenen Sonder-Bezeichnungen behandeln, so erinnert uns der Name „Reich der Himmel“ an die Tatsache der Verwerfung des Königs Seines Reiches durch Israel, die eigentlichen „Söhne des Reiches“ (Mt 8,12). Matthäus, bei dem wir, wie bereits gesagt, allein diesen Namen finden, hatte den Auftrag, den Herrn als den Messias darzustellen, den Gesalbten des HERRN, der in die Mitte Seines Volkes getreten war, um Sein Reich aufzurichten. Israel hat aber seinen König verworfen. Durch diese Verwerfung hat das Reich einen ganz neuen, geheimnisvollen Charakter angenommen. Darum teilt der Herr im 13. Kapitel Seinen Jüngern die Geheimnisse des Reiches der Himmel mit. Es ist ein Reich geworden, dessen König vorläufig auf alle Seine Rechte verzichtet und als der verherrlichte „Menschensohn“ im Himmel, zur Rechten Gottes, Seinen Platz eingenommen hat (vgl. Dan 7,13ff.; 9,26; Mt 26,64; u.a.), und der nun von dort aus Sein Reich nach himmlischen Grundsätzen regiert. Als solches ist es allerdings nur dem Glauben bekannt und konnte naturgemäß erst seinen Anfang nehmen nach dem Tod, der Auferstehung und Himmelfahrt Christi. Es ist deshalb zur Zeit des Erdenlebens unseres Herrn und Heilands noch nicht da, und Petrus empfing vom Herrn „die Schlüssel des Reiches der Himmel“, um, sobald die Zeit dafür gekommen sein würde, zuerst den Juden (Apg 2) und nachher den Heiden (Apg 10) die Tür in dieses Reich zu öffnen.

Das Reich der Himmel, dessen Grundsätze Matthäus in der sogenannten „Bergpredigt“ zusammengestellt hat, besteht also auf dieser Erde (wir alle befinden uns darin) und dauert fort, bis der einst verworfene König zurückkommt, um Sein Reich in Macht und Herrlichkeit aufzurichten. Dies kann nur auf dem Weg des Gerichts geschehen (vgl. Off 11,15). Darum sagt der Herr Seinen Jüngern in der Erklärung des Gleichnisses von dem Unkraut im Acker, dass der Sohn des Menschen „in der Vollendung des Zeitalters“, also am Ende der gegenwärtigen Haushaltung, durch Seine Engel alle Ärgernisse aus Seinem (des Menschensohnes) Reich zusammenlesen lassen und in den Feuerofen werfen werde, und fügt dann hinzu: „Dann (d.h. wenn dies geschehen ist) werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters“ (Mt 13,40–43). Das Reich der Himmel wird dann also seinen Charakter wieder verändern und übergehen in das „Reich des Sohnes der Menschen“ und das „Reich des Vaters“ – das eine den irdischen, das andere den himmlischen Teil des Reiches bildend. Denn im tausendjährigen Reich werden, in Erfüllung des Traumgesichts Jakobs (1. Mo 28,12–14), Himmel und Erde miteinander in Verbindung stehen, und die Himmelsbewohner, die dann bei dem Herrn verherrlichten, mit Ihm kommenden und im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchtenden Gerechten, werden die Segenskanäle bilden für die Gesegneten „Seines (nicht ihres) Vaters“, die inzwischen auf der Erde in das ihnen „von Grundlegung der Welt an“ (nicht „vor Grundlegung der Welt“) bereitete Reich eingegangen sind.

Zusammenfassung

Wo immer also vom Reich der Himmel die Rede ist, haben wir an das zu denken, was auf dieser Erde, infolge der Verwerfung des Messias, aus dem Reich Gottes geworden ist und was wieder verschwinden wird, sobald der verworfene König in Herrlichkeit wiederkommt. Die Versammlung (Gemeinde) oder Kirche (im wahren Sinn dieses Wortes) samt ihrer Berufung und Hoffnung, hat unmittelbar gar nichts mit diesen Dingen zu tun. Eher kann man sagen, dass Reich der Himmel und Christenheit, aber dann mit Einschluss aller Namenschristen, heute zwei Begriffe sind, die sich decken.

Luthers Übersetzung „Himmelreich“ hat von jeher die Gedanken der Leser auf den Himmel selbst gelenkt und die Meinung geweckt, es handle sich bei dem Wort um diesen und um seine Herrlichkeit. Nach dem Gesagten erübrigt sich aber wohl jedes Wort der Widerlegung.


Online seit dem 01.02.2008.