Wie steht der Christ zum Gesetz?
In letzter Zeit habe ich eine Reihe von Menschen kennen gelernt, die sich nicht klar darüber waren, welche Rolle das Gesetz (das Gott durch Mose gegeben hat) in ihrem Leben spielen soll. Obwohl ich in den meisten Fällen annehmen konnte, dass sie wiedergeboren waren, machten verschiedene Bemerkungen deutlich, dass ihnen die volle Bedeutung des Evangeliums der Gnade nicht klar war. Die folgenden Ansichten werden immer wieder vorgebracht:
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„Wir sind gerettet durch den Tod des Herrn, aber nun sollten wir uns anstrengen, wirklich das Gesetz zu halten.“
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„Wir brauchen zwar nicht das ganze Gesetz halten – zum Beispiel nicht das 'Zeremonialgesetz' – aber doch wenigstens den moralischen Teil (nicht töten, stehlen, etc.).“
Widerspricht man diesen Behauptungen, so wird entgegengehalten:
„Wie sollen wir denn nach Gottes Willen leben, wenn wir das Gesetz nicht halten?“
Solche Ansichten sind nicht nur falsch, sondern gefährlich. Sie führen zu einer vollkommenen falschen Denkweise und Lebenseinstellung und hindern uns daran, so zu leben, wie es unserer Beziehung zum Herrn und zum Vater entsprechen würde. Sie nehmen auch den Frieden weg, den jedes Gotteskind genießen darf und sollte (Röm 8,1). Und ohne inneren Frieden kann man eigentlich überhaupt keine Fortschritte machen in der Wahrheit.
Darüber hinaus, und das sollte uns schon genügen, widersprechen solche Ansichten klaren biblischen Aussagen. Eine Beantwortung einiger Fragen aus diesem Themenkreis wird das deutlich machen.
1. Kann man dadurch vor Gott gerecht sein, dass man das Gesetz hält?
Diese Frage muss ich – vielleicht zum Erstaunen einiger Leser – mit „Ja“ – einem theoretischen „Ja“ beantworten. Denn die Bibel sagt: „Und meine Satzungen und meine Rechte sollt ihr halten, durch die der Mensch, wenn er sie tut, leben wird“ (3. Mo 18,5; s.a. Röm 10,5).
Allerdings muss man hinzufügen: de facto (praktisch) nein. Der natürliche Mensch hat einfach nicht die Kraft, das Gesetz zu halten. Paulus sagt: „Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott“ (Röm 8,3); und es heißt in Römer 3,20: „Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden.“
Wenn jemand diesen Punkt nicht einsieht, dann irrt er sich nicht nur, sondern er stellt das Evangelium komplett auf den Kopf, „das Evangelium des Christus verdrehen“ (Gal 1,7).
2. Ist das Gesetz denn schlecht?
Keineswegs! Wie könnte etwas, das Gott selbst gegeben hat, in sich schlecht sein? Doch lassen wir die Bibel selbst reden: „Also ist das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut“ (Röm 7,12). „Wenn das so ist, warum sollten wir es dann nicht als Lebensregel benutzen?“ Bevor wir eine Antwort auf diese Frage suchen, wollen wir uns fragen:
3. Wozu hat Gott das Gesetz gegeben?
Wer eben Vers 20 aus Römer 3 zu Ende gelesen hat, hat schon eine Antwort gefunden: „Durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ Als ich einmal einen jungen Mann, der sich durch das Lesen der Bibel bekehrt hatte, fragte, welches Buch der Bibel ihn denn dazu gebracht habe, hatte ich mit einer Antwort wie etwas 'das Johannes Evangelium' gerechnet. Stattdessen sagte er: Durch das Lesen der 5 Bücher Mose habe ich erkannt, dass Gott heilig ist und dass ich ein Sünder bin. Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.
4. Für wen ist das Gesetz bestimmt?
Zunächst einmal hat Gott das Gesetz dem Volk Israel gegeben. Er hatte sich dieses Volk ausgesucht und es unter anderem dadurch gesegnet, dass Er viele Anweisungen gab, die ihr tägliches Leben regeln sollten. Natürlich haben sie dieses Gesetz nicht gehalten – weil der sündige Mensch es nicht kann. Aber hier geht es mir um einen anderen Punkt: Wenn du kein Jude bist, dann bist du nie „unter Gesetz“ gewesen und bist es auch als Christ nicht.
Streng genommen müsstest du sogar ein Jude sein, der noch in dem Zeitalter des Gesetzes lebt, nicht in der heutigen Gnadenzeit...
Paulus sagt klipp und klar: „Ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14).
5. Gibt es heute denn gar keine Menschen mehr, die noch von dem Gesetz profitieren können?
Doch, die gibt es sehr wohl. Wieder erstaunt? Paulus schrieb einmal an Timotheus, dass man das Gesetz richtig gebrauchen muss. Dabei zeigt er eine ganze Liste von Menschen auf, die – auch wenn sie nicht zum Volk Israel gehören – dennoch vom Gesetz profitieren können (1. Tim 1,8.9):
„Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht, indem er dies weiß, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist, sondern für
- Gesetzlose und Zügellose
- Gottlose und Sünder
- Unheilige und Ungöttliche
- Vaterschläger und Mutterschläger
- Menschenmörder
- Hurer
- Knabenschänder
- Menschenräuber
- Lügner
- Meineidige und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegen ist ...“
Wenn das Gesetz – ausdrücklich – „nicht für einen Gerechten“, sondern für Gottlose gegeben ist, wie kann man dann behaupten, es sei die Lebensregel für Christen?
6. Heißt das, wir können einfach sündigen?
Diese Schlussfolgerung wird oft gezogen und denen vorgeworfen, die aufzeigen, dass Christen unter Gnade stehen und nicht unter Gesetz, aber sie ist nur scheinbar logisch. So ging es schon Paulus, der diesen Vorwurf nur als Lästerung bezeichnen konnte: „Wie wir gelästert werden und wie einige sagen, dass wir sprechen: Lasst uns das Böse tun, damit das Gute komme...“ (Röm 3,8; s.a. Röm 6,1.15).
Wenn solche, die unter Gesetz standen, schon auf keinen Fall sündigen durften, dann diejenigen, die unter Gnade stehen, noch viel weniger, denn sie haben Gott viel tiefer und näher kennen gelernt, nämlich als einen Gott der Liebe, der seinen einzigen Sohn opferte, um das Problem der Sünde zu lösen. Unmöglich kann jemand, der diese Gnade „geschmeckt“ hat, dann folgern, dass der so Gerettete nun mit einem offenen Affront (schwere Beleidigung) – denn Sünde ist nichts anderes – auf die Liebe Gottes antworten soll. Judas spricht äußerst scharf von solchen, die „die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren“ (Jud 4) wollen, das heißt, sie missbrauchen die Gnade Gottes als Freibrief für ihr zügelloses, ausschweifendes Leben. Judas bezeichnet solche Menschen als Gottlose.
Darüber hinaus hat Gott uns in die christliche Freiheit eingeführt. Dazu zwei Bemerkungen:
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Sündigen ist niemals ein Zeichen von Freiheit, sondern von Knechtschaft. Vor unserer Bekehrung waren wir „Sklaven der Sünde“ (Röm 8,17.20). Jetzt sind wir „von der Sünde freigemacht“ (Röm 6,22).
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Christliche Freiheit ist nicht nur die Freiheit, nicht mehr sündigen zu müssen (das ist die negative Seite), sondern auch die Freiheit oder Fähigkeit, Freude an dem Herrn Jesus zu finden: „Wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit. Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt ...“ (2. Kor 3,17.18). Das ist die positive Seite.
7. Ist das Gesetz eine Richtschnur für das praktische Leben des Christen? Und wenn nicht, wie können wir dann Gott gefallen?
Einige Stellen (wie 1. Tim 1,8.9) haben wir schon genannt, um zu zeigen, dass das Gesetz nicht die geeignete Richtschnur ist, nach der ein Christ sein Leben ausrichten soll. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: Wenn wir das Gesetz benutzen wollten, um zu verhindern, dass wir sündigen, würden wir noch eine andere Bibelstelle in ihr exaktes Gegenteil verkehren:
„Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14).
Der Grund dafür, dass die Sünde keine Macht mehr über uns hat, ist eben, dass wir nicht (!) unter Gesetz sind, sondern unter Gnade. Es ist eine der Neigungen des (religiösen) Menschen, sich ein System von Regeln zu nehmen, um ein „gutes“ Leben zu gewährleisten. Und immer geht es schief. Gott dagegen geht ganz anders vor:
- Er verurteilt das Prinzip der in uns wohnenden Sünde (Röm 8,3)
- Er gibt dem, der an Christus glaubt, eine neue Natur – die das Gute will (Joh 3,6)
- Er gibt dem, der das Evangelium des Heils geglaubt hat, den Heiligen Geist als Kraft, um das zu tun, was die neue Natur tun will (Röm 8,4)
- Er unterweist uns – nicht durch das Gesetz – sondern durch die Gnade (Tit 2,12)
Und das ist das Schöne: Gott gibt uns ein Thema, oder besser gesagt eine Person, die unser Leben und Denken erfüllt: Christus.
Praktische Beispiele
Manchen behaupten, dass Christen, die sich nicht nach dem Gesetz richten, folglich stehlen, töten, usw. Wenn man so denkt, hat man wenig davon verstanden, wie ein Christ denkt und lebt.
Nehmen wir einmal das Beispiel: „Du sollst nicht stehlen“. Der Herr Jesus hat gesagt „Geben ist seliger als Nehmen“ (Apg 20,35) – und dabei geht es um rechtmäßiges Nehmen, nicht zum Stehlen. Wenn wir diese Worte vor uns haben, wollen wir eher geben als nehmen, und schon gar nicht etwas nehmen, das uns nicht gehört. In diesem Sinne sagt auch Paulus: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute, auf dass er dem Dürftigen mitzuteilen habe“ (Eph 4,28). Ist das nicht ein viel höherer Maßstab als das „du sollst nicht ...“?
Genauso mit dem Töten: Der Christ beschäftigt sich mit dem, der niemandem schadete, sondern „umherging, wohl tuend und heilend“ (Apg 10,38). Löst das nicht die Frage?
Ebenso mit der Ehe. Für den Christen geht es nicht um ein „du sollst nicht ehebrechen“, sondern er hat vor Augen, dass die Ehe ein Bild ist von Christus und der Versammlung (Eph 5,22ff).
Und so könnte man fortfahren und zeigen, dass die Gnade (!) uns tatsächlich unterweist, in allen Lebensbereichen, „damit wir ... besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf“ (Tit 2,12).
Auf diese Weise wird ein Christ die gerechten Forderungen des Gesetzes erfüllen (Röm 8,4), ohne dass dies sein Ziel wäre. Sein Ziel ist viel höher: dass „Christus in ihm gestaltet wird“, dass er seinem Vorbild folgt (1. Pet 2,21).
Online seit dem 15.12.2006. Zuletzt bearbeitet am 03.10.2020.