Was ist der Sinn von Empfehlungsbriefen?
Was ist der Sinn von Empfehlungsbriefen, und wie sollen wir uns schriftgemäß gegenüber unbekannten Besuchern ohne Empfehlungsbrief verhalten, die den Wunsch haben, z.B. während eines Besuches, mit uns das Brot zu brechen?
Bibelstelle(n): 2. Korinther 3,1
In Verbindung mit dieser Frage, die sicherlich eine ausführliche Behandlung wert ist, ist es vielleicht angebracht, zunächst einige grundsätzliche Worte über die Gemeinschaft am Tisch des Herrn und die damit verbundene Verantwortung zu sagen.
Wir finden dazu in Gottes Wort zwei verschiedene Aspekte der christlichen Verantwortung. Da ist einmal die Seite der persönlichen Verantwortung: „Jeder aber prüfe sich selbst, und so esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch. ...“ (1. Kor 11,27-31), zum anderen die der gemeinsamen Verantwortung der Versammlung: „Ich will aber nicht, dass ihr Gemeinschaft habt mit den Dämonen. Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken und der Dämonen Kelch; ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen-Tisches“ (1. Kor 10,20-22). Wenn gläubige Christen wirklich im Namen des Herrn Jesus versammelt sein wollen, müssen beide Seiten gleichermaßen zum Tragen kommen, damit die Rechte ihres Hauptes und Herrn nicht geschmälert werden, der in ihrer Mitte sein will.
Bei unserer Frage handelt es sich mehr um die zweite Seite, die der gemeinsamen Verantwortung der Versammlung. In der ersten Zeit der Versammlung, wie sie im NT beschrieben wird, war es sicher so, dass jeder, der zum lebendigen Glauben kam, sofort am Brotbrechen teilnahm. Durch seine Bekehrung und seinen Glauben an das Erlösungswerk Christi sowie durch die Taufe und den Wandel in Neuheit des Lebens wies sich der „Neuling“ als Glied des Leibes Christi und Nachfolger seines Herrn aus. Wir lesen daher im NT nichts von einer besonderen „Zulassungspraxis“ im Blick auf die Teilnahme am Brotbrechen.
Anders war es jedoch im Fall von Besuchern aus anderen Orten. Hier konnte die empfangende Versammlung zunächst nur das persönliche Zeugnis des Betreffenden anhören, aber bei einer sofortigen Teilnahme am Brotbrechen hätte dann die Versammlung ihrer gemeinsamen Verantwortung nicht entsprochen, bzw. entsprechen können. Hier sehen wir nun im NT, dass die gemeinsame Verantwortung vor dem Herrn sogar über die örtliche Versammlung hinausging. Denn in den mehrfach erwähnten Empfehlungen oder Empfehlungsschreiben kommt das Zusammenwirken der beiden beteiligten Versammlungen zum Ausdruck. Einerseits sagte sich die Versammlung, aus deren Mitte sich ein Glied an einen anderen Ort begab, dass jene Versammlung ja ein Zeugnis über den Besucher benötigte; andererseits konnte die empfangende Versammlung auf das Zeugnis der anderen Versammlung vertrauen und so auf die schriftliche Aussage von zwei oder drei Zeugen, die im Auftrage dieser Versammlung gehandelt hatten, den Besucher in die Gemeinschaft am Tisch des Herrn aufnehmen. (In Korinth scheint die Gewohnheit von Empfehlungsbriefen soweit gegangen zu sein, dass einige sogar forderten, auch Paulus, der Begründer der Versammlung in Korinth, müsse bei seinem nächsten Besuch ein Empfehlungsschreiben vorlegen; 2. Kor 3,1-2). In den also schon damals üblichen Empfehlungsschreiben wurde zum Ausdruck gebracht, dass der Träger in seiner örtlichen Versammlung als von neuem geborener Christ bekannt war und aufgrund seines Lebenswandels in Lehre und Praxis zur Teilnahme am Brotbrechen empfohlen wurde; manchmal bezog sich die Empfehlung zur Aufnahme auch auf den Dienst, den der oder die Betreffende tat. Auf diese Weise wurde die Einheit des Geistes praktisch auch unter den örtlichen Versammlungen auf der ganzen Erde bewahrt (Röm 16,1; Kol 4,10).
In unserer Zeit ist es leider nicht mehr so einfach. Die Gesamtheit der Versammlung Gottes (d.h. aller wahren Kinder Gottes) ist äußerlich nicht mehr eins. Menschen haben eine Vielzahl von Einheiten gebildet (Kirchen, Gemeinden usw.), und die Darstellung des einen Leibes kann nur noch verwirklicht und bewahrt werden, wo wahre Christen getrennt von all diesen menschlichen Einrichtungen im Namen des Herrn versammelt sind. So können sie, wenn sie auch nicht die Versammlung sind, doch Gottes Gedanken über Seine Versammlung – die ja immer noch gültig sind – verwirklichen.
Angesichts der großen Verwirrung und Unübersichtlichkeit in der gesamten Christenheit ist die oben erwähnte „Zulassungspraxis“ entstanden. Sie ist nichts anderes als der Ausdruck erhöhter Wachsamkeit und Verantwortung in der heutigen Zeit. Zwei oder drei Brüder (die bereits erwähnten Zeugen, durch die jede Sache bestätigt werden soll, vgl. 5. Mo 19,15; Mt 18,16; Joh 8,17; 2. Kor 13,1; 1. Tim 5,19) führen ein Gespräch mit dem betreffenden Gläubigen. Dabei geht es nicht in erster Linie um ein möglichst großes Verständnis des Wortes Gottes und der Versammlung (so wünschenswert dies auch ist), sondern darum, ob das Herz wirklich aufrichtig vor Gott ist und wünscht, Ihm zu gehorchen (man sollte nie vergessen, wie wenig Verständnis man selbst hatte, als man in dieser Situation war!). In dem Gespräch wird auch festgestellt werden müssen, ob irgendwelche Hinderungsgründe für die Teilnahme am Brotbrechen vorliegen. Wenn dies nicht der Fall ist und die Brüder Freimütigkeit dazu besitzen, schlagen sie die Person – meistens auf dem Wege über die Brüderstunde – der Versammlung zur Aufnahme in die volle praktische christliche Gemeinschaft vor. Die Entscheidung liegt also nicht bei einzelnen oder mehreren Brüdern oder in der Brüderstunde, sondern bei der ganzen Versammlung, wenn es in der Praxis auch oft so aussieht, als ob das letztere nur eine „Formsache“ sei. Aber das zeigt nur, wie leicht wir auch auf einem so wichtigen geistlichen Gebiet in gewohnheitsmäßigen Trott verfallen und uns oft unserer großen Verantwortung vor dem Herrn nicht bewusst sind. Die Versammlung als Ganzes lässt zu (und schließt aus), auch wenn sie sich dabei normalerweise zu Recht auf das Urteil einiger geistlich einsichtiger und vertrauenswürdiger Brüder verlässt!
Durch diese Vorgehensweise bei der Zulassung zum Brotbrechen soll vor dem Herrn so weit wie möglich sichergestellt werden, dass nicht unbemerkt Böses in Wandel, Lehre und Verbindungen in die Mitte der Gläubigen eindringt.
Daher sind bei Besuchen von Geschwistern aus anderen Orten Empfehlungsbriefe heute wichtiger denn je. Aber es müssen Empfehlungen von solchen Versammlungen sein, die auf dem gleichen Grundsatz stehen, die Einheit des Geistes zu bewahren (Eph 4,3). So wird es ja auch im allgemeinen gehandhabt. Wenn aber die Absender entweder überhaupt nicht oder aber als nicht mit uns in praktischer Gemeinschaft bekannt sind, kann ein Empfehlungsschreiben zur Teilnahme am Brotbrechen seinen wahren Zweck nicht erfüllen.
Nach dieser etwas ausführlichen Darstellung der Praxis damals wie heute kommen wir nun zu dem uns bewegenden Problem: Was ist zu tun, wenn jemand aus irgendeinem christlichen Kreis besuchsweise an einem Ort weilt, wo „seine Gemeinde“ nicht vorhanden ist, wo aber Geschwister im Namen des Herrn versammelt sind, die die Gedanken Gottes über Seine Versammlung kennen und nach Seinem Wort verwirklichen wollen?
Grundsätzlich können hier keine anderen Prinzipien der Zulassung zum Brotbrechen zur Anwendung kommen. Außer dem persönlichen Zeugnis der betreffenden Person muss der Versammlung also auch das Zeugnis von zwei oder drei Zeugen vorliegen, auf das sie vertrauen kann, damit der betreffende Gläubige mit den Übrigen am Brotbrechen teilnehmen kann. Die Praxis, nach dem Grundsatz „Jeder aber prüfe sich selbst ...“ (1. Kor 11,28) unbekannte Besucher „auf eigene Verantwortung“ am Brotbrechen teilnehmen zu lassen, ist deshalb schriftwidrig, weil dabei die ebenso wichtige Verantwortung der Versammlung außer acht gelassen wird.
In einem solchen Fall stellen sich daher oft die beiden folgenden Fragen:
Wie stellt man bei einem völlig fremden Besucher fest, ob es sich um ein treues und aufrichtiges Kind Gottes handelt?
Was ist zu tun, wenn sich herausstellt, dass der Betreffende zwar besuchsweise am Brotbrechen teilnehmen möchte, in seiner Heimat jedoch in eine Gemeinschaft geht, die nicht auf dem Boden der Einheit des Leibes Christi steht?
Die Antwort auf die erste Frage kann sicherlich nicht unter Zeitdruck in Eile und in einem oberflächlichen Gespräch gefunden werden. Dazu gehört eine gewisse Ruhe und auch geistliches Unterscheidungsvermögen der Gesprächsteilnehmer, deshalb kann ein solches Gespräch in der Regel nicht direkt vor dem Zusammenkommen stattfinden.
Die Beantwortung der zweiten Frage hängt von der Beurteilung der inneren Einstellung der in Frage stehenden Person ab. Wenn es sich um einen im guten Sinn einfältigen, d.h. unwissenden und aufrichtigen Gläubigen handelt, der über den Platz des Zusammenkommens nach dem Wort Gottes keinerlei Kenntnis und Verständnis besitzt und nur einfach den Wunsch hat, den Tod des Herrn zu verkündigen, und deshalb zu den Brüdern kommt, weil „seine Gemeinde“ an dem betreffenden Ort nicht existiert, dann würde man das Verständnis über die Wahrheit der Versammlung zur Bedingung zur Zulassung machen, wenn man ihn nicht zulassen würde. Dieses Verständnis kann und darf man jedoch nicht in jedem Fall ohne weiteres voraussetzen.
Jeder Fall bedarf jedoch einer sorgfältigen Prüfung. Eine Verbindung mit Irrlehren macht die Gemeinschaft am Tisch des Herrn jedenfalls unmöglich. Bei der Behandlung von Fragen über seine Mitgliedschaft in einer Kirche oder über seinen weiteren Weg benötigen die Brüder, die sich mit ihm unterhalten, große Weisheit und ein gutes geistliches Unterscheidungsvermögen, um den Willen des Herrn zu erkennen und Seine Gedanken über Seine Versammlung zu verwirklichen.
Anders sieht es jedoch aus, wenn bei dem Besucher Verständnis über Gottes Gedanken hinsichtlich Seiner Versammlung vorhanden ist und er sogar erkennt, dass die eigene Gemeinde nicht in allem auf Gottes Wort gegründet ist, aber trotzdem dort bleiben will. Wenn ein solcher den Wunsch hat, besuchsweise die Gemeinschaft am Tisch des Herrn zu praktizieren, dann würde die betreffende Versammlung sich der Leichtfertigkeit in den Dingen des Herrn schuldig machen, wenn sie einem solchen Gläubigen, der gegen seine Erkenntnis des Willens Gottes handelt, ohne weiteres das Recht einräumen würde, am Brotbrechen teilzunehmen.
Die Aufrichtigkeit vor dem Herrn und vor den Gliedern Seines Leibes ist dabei das Hauptkriterium, wie man sieht. Wir müssen bekennen, dass es daran bei uns allen so häufig mangelt. Aber auch der Ernst und das geistliche Unterscheidungsvermögen derer, die sich mit solchen Fragen beschäftigen müssen, sind wichtige Voraussetzungen, damit der Name unseres Herrn nicht verunehrt und Seine Wahrheit nicht vernachlässigt wird.
Auf der einen Seite heißt es: „Nehmt einander auf, wie auch der Christus euch aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit“ (Röm 15,7). Auf der anderen Seite muss sich unser Verhalten, auch in der Offenbarung der Bruderliebe, immer und ausschließlich an dem Wort Gottes orientieren: „Dies schreibe ich dir, [...] damit du weißt, wie man sich verhalten soll im Haus Gottes, das die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ und „Deinem Haus geziemt Heiligkeit, HERR, auf immerdar“ (1. Tim 3,14.15; Ps 93,5).
Online seit dem 19.09.2006.