John Nelson Darby – Biographie
John Nelson Darby wurde als jüngster Sohn einer angesehenen irischen Aristokratenfamilie am 18. November 1800 in Westminster (London) geboren. Sein Vater, der Lord John Darby of Leap Castle (Kings County), entstammte einer alten normannischen Familie: Seine Mutter, die ihm jedoch schon in seiner Kindheit genommen wurde, stammte aus der bekannten Familie Vaughan in Wales. Die Tatsache, daß der berühmte Seefahrer Lord Nelson auf Bitten der Eltern die Patenschaft für ihren Sohn John übernahm, zeigt, wie angesehen die Familie war. Zu Ehren des Lord erhielt er den zweiten Vornamen Nelson.
Als Knabe durchlief John Nelson Darby die Westminster School und studierte dann ab 1815 auf Wunsch seines Vaters am Trinity College in Dublin. Hier schloß er 1819 mit der hohen Auszeichnung der „Classical Gold Medal“ den ersten Teil des Studiums ab. Das darauf folgende Studium der Rechtswissenschaft beendete er im Jahre 1822. Aus Gewissensgründen verzichtete John Nelson Darby jedoch auf die hervorragenden Aussichten, die sich ihm in dieser Laufbahn boten, denn schon ungefähr seit dem Jahre 1820 war er in eine tiefe innere Krise geraten. Er führte ein asketisches Leben mit Fasten, Frömmigkeitsübungen und regelmäßigem Kirchgang, gelangte aber nicht zur Klarheit im Glauben. In einem Brief aus dem Jahre 1871 schreibt John Nelson Darby noch: „Nachdem ich durch die Gnade des Herrn bekehrt worden war, habe ich sechs oder sieben Jahre unter der Zuchtrute des Gesetzes zugebracht. Ich fühlte, daß Christus der einzige Retter sei, konnte aber doch nicht sagen, daß ich Ihn besitze oder durch Ihn gerettet sei. Ich betete, fastete, gab Almosen – Dinge, die immer gut sind, wenn sie in geistlicher Weise getan werden –, doch ich besaß keinen Frieden. Ich fühlte aber trotzdem, daß, wenn der Sohn Gottes sich für mich dahingegeben habe, ich Ihm angehöre mit Leib und Seele, mit Hab und Gut. Endlich ließ mich Gott verstehen, daß ich in Christo sei, mit Ihm vereinigt durch den Heiligen Geist.“
Über seine Studien in der Zeit zwischen 1822 und 1825 wissen wir nichts Genaues, außer daß er sich mit dem Gedanken beschäftigte, die kirchliche Laufbahn einzuschlagen. Darüber war sein Vater so entrüstet, daß er seinen Sohn enterbte. Aber ein Onkel vermachte ihm später ein beträchtliches Vermögen, so daß er Zeit seines Lebens unabhängig war. Im Jahre 1825 wurde er zum Hilfsprediger („deacon“) und im folgenden Jahre vom Erzbischof Magee von Dublin zum Priester der anglikanischen Staatskirche ordiniert. Seine erste Gemeinde war Calary in der Grafschaft Wicklow (Irland). Hier scheute er keine Mühe, seine weit verstreut wohnenden, zumeist armen Pfarrkinder in hingebungsvoller Weise zu betreuen.
In dieser Zeit wurde seine Einstellung zur Staatskirche jedoch schon erschüttert, wie seine erste Schrift aus dem Jahre 1827 zeigt („Considerations addressed to the Archbishop of Dublin etc.“). Darin wandte er sich gegen die Forderung des Erzbischofs Magee, daß die in der damaligen Zeit massenweise zur anglikanischen Kirche übertretenden Katholiken den Treueeid auf den britischen König zu leisten hätten. Seine Entschiedenheit und Furchtlosigkeit brachte ihm eine offizielle Rüge ein. Mehr und mehr wurde er am ganzen Staatskirchentum irre.
Auf einem Ritt durch seine Gemeinde erlitt er bei einem Sturz vom Pferde derartige Verletzungen an einem Bein, daß er zur Behandlung und Heilung den Winter 1827/28 in Dublin verbringen mußte. Diese Zeit nutzte er zu intensivem Bibelstudium. Hier kam er wohl zum wahren tiefen Frieden mit Gott, der ihm so lange Jahre gefehlt hatte, wie aus dem angeführten Brief hervorgeht. Während seines Aufenthaltes in Dublin lernte er auch John Gifford Bellett, Dr. Edward Cronin, Francis Hutchinson und Brooke kennen. Nach seiner Rückkehr zu seiner Gemeinde legte er sein Priesteramt nieder, trat jedoch noch nicht aus der Kirche aus. Er übernahm eine Stelle in der inneren Mission und verkündigte bis 1832 in Irland den Katholiken in gesegneter Weise das Evangelium. Aus verschiedenen Quellen geht hervor, daß er sich seit dem Winter 1827/28 mit den neuen Freunden, zu denen auch Anthony Norris Groves gehörte, häufiger versammelte, und mit ihnen in einfacher Weise das Brot brach. Immer klarer wurden den Freunden die Gedanken Gottes über die Versammlung (Ekklesia) des lebendigen Gottes, die Wiederkunft Christi, die Tätigkeit des Heiligen Geistes sowie die Gaben und Ämter in der Versammlung. In dieser Zeit, zwischen 1827 und 1832, fanden auch die sogenannten Powers-court-Konferenzen statt, die zur Klärung des biblischen Standpunktes beitrugen, so daß John Nelson Darby schließlich offiziell aus der Kirche austrat.
Die von ihm und seinen Freunden gewonnenen neuen Erkenntnisse waren das Ergebnis fleißigen und nüchternen Bibelstudiums, das Gott reichlich segnete. Sie hielten an allen Grundlagen des christlichen Glaubens fest. Es war ihr Bestreben, die volle Wahrheit des Evangeliums in seiner ursprünglichen Einfachheit, Reinheit und Fülle wieder zu verkündigen. Aber außer den großen Wahrheiten der Reformation, die zu jener Zeit teilweise schon wieder verlorengegangen waren, verkündigten John Nelson Darby und seine Brüder Wahrheiten, die bis dahin seit den Tagen der Apostel verdunkelt oder in Vergessenheit geraten waren:
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Die Versammlung (Ekklesia) Gottes, der Leib Christi, besteht aus allen wahren Gläubigen, die seit dem Pfingsttage durch den Heiligen Geist mit Christus, ihrem Haupte im Himmel, verbunden sind (Epheser 4,4).
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Diese Einheit findet ihren Ausdruck im Mahl des Herrn an Seinem Tische (1. Korinther 10,17).
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Die Wiederkunft des Herrn zur Entrückung der Gläubigen vor den Endgerichten ist das nächste große Ereignis, das die Christen erwarten (1. Korinther 15,51–54; 1. Thessalonicher 4,16–5,2).
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Alle Gläubigen sind Priester und haben freien Zutritt zu Gott, dem Vater (1. Petrus 2,5). Der Herr hat Seiner Versammlung jedoch besondere Gaben zu ihrer Auferbauung gegeben (Epheser 4,11–12), die von den örtlichen Ämtern (Älteste und Diener, die heute nicht mehr offiziell ernannt werden können) zu unterscheiden sind.
Dies sind nur einige der wichtigen Wahrheiten der Heiligen Schrift, die erkannt und wieder verwirklicht wurden. Hierfür bot sich John Nelson Darby nach seinem Kirchenaustritt ein weites Arbeitsfeld. Schon 1830 breitete sich das Werk von Dublin nach Limerick und anderen Orten Irlands aus. Auch in Cambridge, Oxford und Plymouth (ein Name, der mit den „Brüdern“ teilweise bis heute in enge Beziehung gebracht wird) sowie in London entstanden größere und kleinere Versammlungen. John Nelson Darby durchreiste im Dienst des Herrn das ganze Land.
Im Jahre 1837 begann John Nelson Darby seine Tätigkeit auf die Schweiz auszudehnen, wo er in Genf und Lausanne segensreich gearbeitet hat. In den Jahren 1840 bis 1845 durchreiste er nochmals die Schweiz und Frankreich. Dort breitete sich das Werk in ähnlicher Weise aus. In den Jahren 1847 bis 1853 führten ihn wiederholte Reisen in diese Länder, wo er den Versammlungen diente und auf den Konferenzen die Brüder zum Studium des Wortes Gottes vereinte.
Anfang 1853 hatte er von einer Gruppe von Gläubigen im Rheinland gehört. Es folgte ein Briefwechsel mit Carl Brockhaus, der zu einem ersten Besuch John Nelson Darbys im Jahre 1854 in Elberfeld führte. Dieser Besuch war jedoch nur sehr kurz. Auf der Fahrt dorthin verweilte John Nelson Darby einige Tage in den Niederlanden, wo er den ersten längeren Besuch bei den dortigen Brüdern in Haarlem, Amsterdam und Winterswijk machte, die sich getrennt von den kirchlichen Benennungen versammelten. Aber im Frühjahr 1855 kam er wieder nach Elber-
feld, um die Übersetzung des Neuen Testamentes ins Deutsche zu beginnen. Gemeinsam mit Carl Brockhaus und Julius Anton von Poseck wurde zunächst das Neue Testament übersetzt. Danach erfolgte in den Jahren 1869 bis 1870 auch die Übersetzung des Alten Testamentes ins Deutsche, wobei Hermanus Cornelis Voorhoeve den Platz von Julius Anton von Poseck einnahm.
Die Jahre 1855 bis 1857 verbrachte John Nelson Darby fast ausschließlich auf dem Festland, hauptsächlich in Frankreich, Deutschland (wo er in den Jahren 1855 und 1857 weilte), Holland und in der Schweiz. Die folgenden Jahre, 1858 bis 1859, blieb er zumeist in London, wo er an einer französischen Übersetzung des Neuen Testamentes arbeitete, das 1859 in Vevey gedruckt wurde. Die vollständige französische Bibel wurde 1881 unter Mitwirkung einiger Brüder vollendet. Dazwischen übersetzte und veröffentlichte er 1870 eine englische Übersetzung des Neuen Testamentes (das Alte Testament wurde später nach seinen Richtlinien von anderen Brüdern vollendet).
Im Jahre 1861 schrieb er an einen Freund: „Sie wissen, daß ich von irgendeinem neuen Arbeitsfeld geträumt habe, wo ich noch nicht war, wohin man überhaupt das Evangelium, wie ich es verstehe, noch nicht gebracht hat. Mich wieder auf ein Feld zu begeben, das ich schon bearbeitet habe, macht mir keine Freude. Es ist mir etwas Altes geworden. Ich liebe es, den Namen des Herrn solchen zu verkündigen, die Ihn noch nicht kennen.“ Dieser Wunsch ging Ende 1862 in Erfüllung. In den Jahren 1862/63, 1864/65, 1866 bis 1868, 1870, 1872/73 und schließlich 1874 bis 1877 besuchte er die Vereinigten Staaten und Kanada, und während der letzten Reise kam er auch nach Neuseeland.
Nach seiner letzten Überseereise besuchte John Nelson Darby noch einmal Deutschland (1878), die Schweiz, Italien und Frankreich. Als neunundsiebzigjähriger Greis kehrte er nun nach England zurück, wo er noch bis zu seinem Heimgang 1882 schriftstellerisch tätig war. Seine gesammelten Schriften (herausgegeben von seinem Freund William Kelly, umfassen 34 Bände (The Collected Writings of J.N.Darby). Dazu kommen noch sieben Bände Notizen und Kommentare (Notes and Comments) und drei Bände mit Schriften vermischten Inhalts sowie drei Bände von Briefen. Sein bekanntestes und wertvollstes Werk ist wohl die in der englischen Ausgabe fünf Bände umfassende „Synopsis of the Books of the Bible“ (deutscher Titel: „Betrachtungen über das Wort Gottes“), worin John Nelson Darby einen Überblick über die gesamte Heilige Schrift gibt. Auch als Liederdichter trat er hervor. Bekannt sind seine „Spiritual Songs“ (deutsche Übersetzung: „Geistliche Gesänge“) und die vielen Lieder im englischen Liederbuch der Brüder. In dem deutschen Buch „Kleine Sammlung geistlicher Lieder“ sind die Nummern 67 und 98 Übersetzungen von Liedern aus seiner Feder.
In den letzten Monaten des Jahres 1880 war John Nelson Darby sehr leidend. Er hatte Atem- und Herzbeschwerden. Im Dezember trat eine Besserung ein, so daß er an einen Bekannten schreiben konnte: „Durch Gottes Güte geht es mir viel besser. In Wahrheit verstehe ich gar nicht, daß ich dem Tode so nahe war. Mein einundachtzigstes Lebensjahr vergesse ich nicht. Wenn auch nicht häufig, gehe ich doch in die Versammlungen; auch kann ich noch meine gewohnte Arbeit tun. In der Folge wird ja angesichts meines nahen Abscheidens eine Änderung mit mir vorgehen, aber nicht im Blick auf die Lehre und meine Ansichten. Daran hat sich nichts geändert; ich habe alles bestätigt gefunden. Es ist ein lieblicher Gedanke, daß alles, was ich gelehrt habe, in Gott geschehen ist. In meinem Inneren bin ich mir bewußt, in die andere Welt zu gehören. . . wie lange ich noch mir gehöre, weiß ich nicht. Für den Ausgang ist das Wort des vielgeliebten Herrn wichtig: Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin.– In dieser Hinsicht ist die Veränderung wahrnehmbar, und ich erwarte sie.“
Im Jahre 1881 arbeitete John Nelson Darby noch an der Herausgabe eines englischen Liederbuches. Am 15. Dezember 1881 schrieb er ein Vorwort für die französische Bibel, die 1882 erschien. Ende Januar erlaubte ihm seine Körperkraft nur noch die Hälfte seines gewohnten Tagewerks. In den letzten Wochen fand er Aufnahme und Pflege im Hause des Bruders Hammond in Bournemouth. Dort ging er am 29. April 1882 heim. Auf dem einfachen weißen Stein auf dem Friedhof in Bournemouth stehen die Worte:
John Nelson Darby als ein Unbekannter und Wohlbekannter
gestorben in dem Herrn
am 29. April 1882
81 Jahre alt
2. Kor 5,21
Herr, laß mich warten auf dich allein,
mein Leben sei nur dir geweiht,
unbekannt auf Erden dein Diener sein,
dann erben deine himmlische Seligkeit.